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Date Posted: Sun, 18 Dec 2016, 1:53:10
Author: life
Subject: Abschnitt

Vor wenigen Wochen bekam ich Besuch von R. Ich kam gerade von einer Untersuchung und wollte nur noch ins Bett. Er stand neben dem Fenster und sagte ganz ernst: "you need a new purpose" und legte mir einen Schlüssel auf das Nachttisch. Ich verstand nur Bahnhof. Er redete und versuchte mir etwas klar zu machen, aber ich stand sprichwörtlich auf dem Schlauch. Er band den Schlüssel an einem Band fest und hängte ihn mir um den Hals. Tagelang starrte ich diesen Schlüssel an und konnte mir nicht erklären für was er stand.
Bis ich in der Ambulanz saß. Ich wartete auf ein Arztgespräch.... mal wieder... dann kam ein kleines Mädchen um die Ecke mit ihrer Mama. Sie setzten sich mir gegenüber und ich konnte ihre Angst spüren. Sie sah meinen Rollstuhl an, schaute nach oben und dann sah sie mir in die Augen. Ich sah weg, denn ich wusste genau, was in ihr vorging. Ich saß da selbst vor ein paar Jahren zum ersten Mal. Damals hatte ich meinen festen Freund dabei. C. Ich musste etliche Untersuchungen über mich ergehen lassen und nach 5 Stunden saßen wir dann in diesem Raum. Den Blick des Arztes hatte ich lange im Kopf..... er erklärte mir, dass dieses Rezidiv inoperabel sei..... ich lief auf den Flur. Und der Flur der Kopfklinik ist sehr lang. Ich hatte das Gefühl, ich lief und lief und kam nicht von der Stelle. Ich wollte nach draußen, an die Luft, ich musste raus.... endlich draußen angekommen holte ich tief Luft und fing sofort das Schluchzen an. C. war mir gefolgt und nahm mich fest in meine Arme. Das war das erste und letzte Mal, dass ich so meine Gefühle in Bezug auf die Krankheit zeigte. Die Beziehung ging leider an der Krankheit kaputt....
Ich war in Gedanken versunken und hörte nicht, dass man mich aufrief. Eine Schwester holte mich und fuhr mich in das Besprechungszimmer. Der Blick des Arztes sprach Bände. Er sprach nicht von meiner Lunge oder meinem Herzen, nein, das war Aufgabe der Hannoveraner. Ihn interessierte nur den Tumor. Und er redete von Radio-Chemo, nicht von Chemo. Die bekomme ich ja schon wieder seit 5 Monaten. Ich erschrak und fragte, ob ich überhaupt bestrahlt werden dürfte. Er verneinte und machte mir klar, dass die Chemo alleine nicht mehr greift.... ich solle zum Durchchecken wieder nach Ludwigshafen....
Also verlegte man mich dorthin.
Als ich dann nach 2 Wochen wieder zurück in der Ambulanz in Heidelberg saß, kam das Mädchen. Diesmal im Jogginganzug, nicht in Straßenkleidung. Sie hatte also eingecheckt. Ihre Augen sahen leer und traurig aus. Als sie mich ansah, sah ich auf den Boden und spielte an dem Schlüssel von R. Mir fiel sein Satz wieder ein "you need a new purpose".
Ich sah in die Augen des Mädchens und fragte sie "Hast du Angst?" Sie sah mich an und nickte.
Ich fuhr mit meinem Rollstuhl zu ihr und redete mit ihr. Ich übersprang die Sätze mit dem Wetter, dem tollen Essen und den Elektrobetten und fragte sie nach ihrer Krebsart. Sie verstummte kurz, doch als ich meine Mütze abnahm und sie meine Glatze sah, fing sie an zu reden.... es war zwar kein schönes Gespräch, aber ich spürte, dass es ihr gut tat. Wir sprachen nur über sie und das war es, was mir fehlte.... Für andere da zu sein! Nach all den Monaten Krankenhaus und fast 1 Jahr Isolationshaft, stumpft man total ab und wird egoistisch. Mir war das nie so klar und irgendwie doch.
Ich wollte nie egoistisch sein und wurde es doch selbst ganz allmählich mit der Zeit.
Ich besuchte das Mädchen jeden Tag. Manchmal ganz früh, manchmal am Tag. Wir redeten und redeten und es tat so gut zu sehen, dass ihr das gut tat. Ab und an lachten wir auch und versuchten uns abzulenken. Ich wollte, dass sie sich das Lächeln bewahrt, denn das hilft über so Vieles hinweg.
Leider schaffte sie es nicht.... sie starb innerhalb weniger Wochen. So sinnlos..... ihre Eltern bedankten sich bei mir. Ich kam zur Beerdigung. Das war das Mindeste für mich, auch, wenn es mit viel Diskussion der Ärzte einherging. Aber ich musste sie auf ihrem letzten Weg begleiten.
Sie hat mir so viel gegeben und sie merkte es wahrscheinlich gar nicht. Dafür bin ich ihr auf ewig dankbar. Sie öffnete mir in gewisser Weise die Augen. Ich blieb all die Monate stur auf meinem Weg, voller Egoismus und ohne Empathie. Und das war genau das, wofür ich niemals stehen wollte.
Ich danke dir, kleine E.

Vor ein paar Tagen ging ich das erste Mal seit über einem Jahrzehnt wieder in die Kinderonkologie. Ich verbrachte so viel Zeit dort und knüpfte wahre Freundschaften. Als Kind ist man so "frei". Ich setzte mich in den Vorraum, oder Aufenthaltsraum wie er jetzt hieß, nahm ein Buch und fing an zu lesen. Kurz darauf kam ein Junge und setzte sich neben mich. Er bat mich laut zu lesen. Ich tat es. Und er schien in dieser Geschichte zu versinken und für diese kurze Weile seinen Kummer und Schmerz zu vergessen.
Seitdem gehe ich jeden Abend rüber und lese vor. Manchmal nur für ein Kind, manchmal für eine ganze Schar voll. Das ist meine neue Aufgabe! Keine Musik ist schöner, als das Lachen der Kinderaugen!

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