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Date Posted: Tue, September 27 2016, 20:56:41
Author: Ewald
Subject: Alte Bekannte

Alte Bekannte
Kürzlich stöberte ich auf unserem Dachboden. Da hörte ich plötzlich ganz deutlich eine Stimme:
„Hallo, alter Freund, wie geht es dir?“
Ich schaute mich um: Woher kam diese Stimme? Ich ging in die Richtung, woher ich angesprochen wurde. Und siehe da, da lag der alte Rohrstock, mit dem ich während meiner Kindheit reichlich Bekanntschaft gemacht hatte.
„Du wunderst dich, dass ich sprechen kann?“ hörte ich ihn deutlich sagen, „Ja, ich bin lange genug mir den Menschen in Verbindung gestanden, als dass ich ihre Sprache nicht gelernt hätte“, redete er weiter. „Ich kenne dich noch gut und wüsste vieles über dich zu berichten, vor allem über deine Missetaten, die mit meiner Hilfe bestraft und korrigiert wurden…“
Ich staunte nicht wenig über dieses sprechende Ungeheuer, wie ich ihn aus in meiner Kindheit in Erinnerung hatte. „Nun, was willst du von mir?“
„Ach, mir ist recht langweilig in letzter Zeit geworden, ich bin sozusagen in Ruhestand versetzt. Aber ich hoffe, dass es nicht dabei bleibt und dass ich recht bald reaktiviert werde…“, deutete er mit verschmitztem Lächeln an. „Eigentlich bin ich ja ein Emigrant. Wir Rohrstöcke wurden vor mehr als hundert Jahren aus dem fernen Osten importiert, und weil wir durch unsere Elastizität und Ausdauer bekannt sind, haben uns die Menschen in Europa für die Erziehung ihrer Sprösslinge eingesetzt. Wir waren dafür einfach besser geeignet, als unserer Vorgänger, die Ruten und Peitschen. Wir Rohrstöcke, und dafür bin ich auf unsere Sippe stolz, haben sich als Erziehungshelfer bestens bewährt…“
„Oh“, sagte ich, „das ist mir nicht neu. Eine gute Erinnerung habe ich allerdings nicht an dich. Am liebsten würde ich mich jetzt an dir rächen und dich auf der Stelle auseinanderbrechen. Dann könntest du niemandem mehr schaden.“
„Das würde nichts nützen. Es gibt genug von meinem Brüdern, und wenn einer von uns das Zeitliche gesegnet hat, tritt an seine Stelle immer wieder ein Stellvertreter in Aktion. Lass deine Rachegefühle und denke lieber positiv von mir. Weißt du nicht, dass wir auch „Erziehungshelfer“ oder „Bravmacher“ genannt werden und dass sogar eine, wenn auch fiktive Verwandtschaft zwischen uns und den Menschen besteht?“
„Wie das denn?“ wandte ich ein, „mit einem so grausligen Instrument möchte ich nicht verwandt sein.“
„Ja gut, manchmal werden wir auch als ‚gelber Onkel‘ bezeichnet, ein Ausdruck, der dir doch gut bekannt sein muss, wenn ich an deine Vergangenheit denke.“
„Danke, aber auf eine solche Verwandtschaft möchte ich gerne verzichten. Übrigens, was willst du von mir, nachdem ich deine Bekanntschaft inzwischen glücklicherweise einen längeren Zeitraum über durchaus entbehren konnte.“
„Ja schon“, entgegnete mein Gegenüber, „aber ob es wohl dabei bleiben wird?“ räumte er spöttisch ein, „mancher aus unserer Sippe ist auch schon nach längerer Atempause wieder in Betrieb gesetzt worden, und ich habe da vor kurzem einem Gespräch zugehört, das auch in deinem Falle einiges vermuten lässt…“
„Wie, du willst doch nicht behaupten, dass du auch bei erwachsenen Menschen wie mir noch in Gebrauch genommen wirst?“
„Wer weiß? Aber einstweilen lebe ich von der Erinnerung, und diese ist mir eben gekommen, als ich dich in meiner Nähe gesehen habe.“
„Damit schweigst du am besten…“, erwiderte ich.
„Na ja, denk einmal nach, ob ich deinen Eltern nicht doch geholfen habe, einen einigermaßen anständigen Menschen aus dir zu machen, und ob du dann nicht doch positiver über mich denken solltest. Erinnerst du dich nicht mehr daran, wie du einmal in deiner rüden Art die Tochter eurer Nachbarin niedergestoßen und dabei sogar verletzt hast. Weißt du noch, wie sich die Nachbarin bei deiner Mutter beschwert hat und was dann passiert ist?“
„Das habe ich allerdings noch gut in Erinnerung. Meine Mutter hat mich hier auf den Dachboden geschleppt, und sie war fürchterlich wütend und hat mich ausgeschimpft…“
„Ja, und dann hat sie gesagt, ‚damit du dich fernerhin daran erinnerst und das nicht noch einmal machst, bekommt dein Podex jetzt eine Abreibung wie noch nie…‘ Darauf trat ich wieder einmal in Aktion. Deine Mutter hat dir die Hose ausgezogen, splitternackt lagst du über den alten Tisch da gestreckt, und dann bin ich in Aktion getreten. Weißt du noch, wie oft ich auf dein Hinterteil niedergesaust bin? Ich habe mir immer die Zahl der Schläge gemerkt, es waren fünfundzwanzig… Ja, das waren noch Zeiten, fünfundzwanzig auf den Nackten… und das war noch nicht das Ende. Als dein Vater am Abend nach Hause kam und deine Mutter ihm von deiner Verfehlung erzählte, wurde ich noch einmal eingesetzt, und du bekamst noch einmal die Fünfundzwanzig mit voller Wucht hinten drauf. Ich denke, dass es damals für dich eine gute Erfahrung war, was mit einem übermütigen Jungen passiert, und ich meine, dass du auch daraus gelernt hast, oder etwa nicht?“
„Na ja, vielleicht hast du recht, aber ich denke auch, dass heute die Erziehungspraxis besser ist und solche rüde Maßnahmen nicht mehr erforderlich sind“, erwiderte ich kleinlaut.
„Ich bin da ein wenig skeptisch“, meinte mein Bekannter, „vor einigen Tagen habe ich nämlich ein Gespräch belauscht, welches deine Eltern geführt haben. Sie meinten, dass ihre strenge Hand nicht fruchtlos geblieben ist und dass du doch noch etwas Ordentliches geworden bist. Doch sie deuteten auch an, dass du immer noch recht leichtsinnig bist, und sie fragten sich, ob es nicht ein Fehler war, mich in ein einstweiligen Ruhestand zu versetzen…“
„Willst du damit etwas andeuten? Etwa dass man einen Erwachsenen wie mich auch noch mit deinesgleichen traktieren möchte?“
„Wer weiß, alles schon dagewesen“, sagte er – wenn er lächeln könnte, hätte er es jetzt getan – „Ich könnte dir da Geschichten erzählen, auch über deine Familie…“
„Ja“, sagte ich zum Abschied, „auf ein andermal, ich muss jetzt wieder an die Arbeit, und lass es dir in deinem Ruhestand wohl ergehen und Tschüss…“
„Auf Wiedersehen“, antwortete er, als er sich von mir verabschiedete. An die Bedeutung der letzteren Worte sollte ich später nochmals erinnern…

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